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Branche

Spielebasiertes Lernen: Lehrer Michael Fleischhacker im Interview

Spielebasiertes Lernen mit Minecraft: Vielfältiger Unterricht und Chance fürs Leben

Game-based Learning gehört zu den Unterrichtsmethoden der Schule von morgen. Eine im Februar 2022 veröffentlichte Studie eines Forschungsteams der Uni Köln zeigt, dass die zukünftige Generation der Lehrkräfte, die sich momentan noch in der Ausbildung befindet, Computerspiele im Unterricht einsetzen möchte.

Ein Lehrer, der Minecraft bereits seit vielen Jahren einsetzt, ist Michael Fleischhacker. Der gelernte Tischler hat es sich zur Aufgabe gemacht, den herkömmlichen Unterricht auf den Kopf zu stellen. An einer sogenannten Brennpunkt-Schule in Wien unterrichtet er Mathematik und Sport und hat festgestellt, dass der Einsatz von Minecraft nicht nur motiviert, sondern auch verborgene Talente zum Vorschein bringt. Welche zahlreichen Anwendungsmöglichkeiten es gibt, hat er uns im Gespräch verraten.

Screenshot einer Minecraft Session
Copyright: Michael Fleischhacker
Lehrer Michael Fleischhacker über seine Motivation, den Einsatz von Minecraft und gesteigerte Motivation durch spielebasiertes Lernen.

Herr Fleischhacker, Sie bieten ihren Schüler*innen vielfältigen, medienbasierten Unterricht und kritisieren öffentlich, dass in Bildungsdiskussionen oft von „neuen Medien“ gesprochen wird. Warum?

Michael Fleischhacker: „Die Frage ist doch, sind Computer und Handys tatsächlich neu? Im beruflichen Alltag können wir uns ein Leben ohne Computer nicht mehr vorstellen, wir schreiben und erhalten E-Mails, sind in Videokonferenzen, suchen uns Informationen und greifen auf Daten zu. Schule ist wie ein Paralleluniversum. Dort finden all diese Medien nicht statt, obwohl es sich um Alltagsgegenstände handelt, die unsere Schüler*innen in ihrer beruflichen Zukunft brauchen werden. Schule hat den Auftrag, junge Menschen aufs Leben vorzubereiten und dazu gehört auch die Schulung im Umgang mit Medien. Es tut mir einfach weh, in dem Zusammenhang immer wieder ‚neue Medien‘ zu hören – denn sie sind nicht neu! Und unsere Schüler*innen kennen sich oft besser aus als wir Pädagog*innen.“

Ihr YouTube-Kanal heißt „FLIPP den Fleischhacker“. „To flip“ bedeutet „umdrehen“ oder „auf den Kopf stellen“ – was hat es damit auf sich?

Michael Fleischhacker: „Der Name ist an die Unterrichtsstruktur ‚Flipped Classroom‘ angelehnt, was so viel bedeutet, wie den Unterricht auf den Kopf stellen. Diese Methode wende ich inzwischen bereits seit sieben oder acht Jahren an. Ich fand die herkömmliche Art zu unterrichten sehr frustrierend. Man steht vor einer Klasse, von der einige zuhören und verstehen, andere zuhören und nicht verstehen und wieder andere nicht zuhören, weil sie abgelenkt sind. Gäbe es die Möglichkeit, ‚Start‘ oder ‚Pause‘ zu klicken, wäre es doch viel einfacher.

Und so habe ich unter anderem angefangen, meinen Schüler*innen in kurzen Audio- und Bildsequenzen Input zu geben. So kann sich jede*r in seinem eigenen Tempo einem Thema nähern und es Schritt für Schritt bearbeiten. Rückfragen können zu jeder Zeit ebenfalls an mich gesandt werden. So kann ich nicht nur Lehrer, sondern Lernbegleiter sein. Im Bildungssektor wird so viel von inklusivem Denken und Differenzierung gesprochen, doch solange wir klassisch von vorne in den Raum posaunen, kann es keinen differenzierten Unterricht geben.“

Inklusives Denken, differenzierter Unterricht – kam so auch Minecraft in Ihrem Unterricht zum Einsatz?

Michael Fleischhacker: „Jeder Mensch und jedes Kind arbeitet anders, lernt anders und hat andere Zugänge. Motivation spielt in jedem Fall eine große Rolle. Aus diesem Grund ist es immer gut, Vielfalt zu bieten. Vor ungefähr sieben Jahren begann ich mit dem Einsatz von Minecraft im Unterricht, denn mir fiel auf, dass die meisten Kinder die Pocket Edition auf ihrem Smartphone installiert hatten.“

Zu dieser Zeit berechneten wir gerade Winkelarten, eine rein theoretische Methode, die für viele Schüler*innen sehr mühsam ist. Und so gab ich Ihnen eine Hausaufgabe: Präsentiere die verschiedenen Winkelarten! In der Wahl deiner Mittel bist du frei: Papier und Stift, Strohhalme kleben, Lego bauen oder in Form eines Minecraft-Szenarios. Die Ergebnisse waren grandios: aufleuchtende Winkel mit Schildern zur Beschriftung.

Screenshot einer Minecraft Session
Copyright: Michael Fleischhacker
Lehrer Michael Fleischhacker hat mit seinen Schülern in Minecraft verschiedene Winkelarten berechnet.

Die Motivation meiner Schüler*innen war auch Antrieb für mich. Natürlich sind manche Schüler*innen den klassischen Weg gegangen, aber durch das Angebot, Minecraft zu nutzen, konnte ich mehr erreichen. Schüler*innen, bei denen klassische Methoden nicht funktionieren, werden häufig abgehängt, doch nun hatte sich das geändert. Sie haben sich hingesetzt, nachgedacht und mit der Problematik auseinandergesetzt. Das hätten sie bei einer normalen Hausaufgabe nicht gemacht. Unterm Strich gehört im Bildungskontext Vielfalt dazu und ich möchte meinen Schüler*innen mehrere Methoden anbieten. Eine davon ist Minecraft, nicht nur, weil das Spiel sehr beliebt ist, auch weil es sehr leicht in der Handhabung ist, freie Bewegungsmöglichkeiten bietet und sich viele verschiedene Dinge schnell umsetzen lassen.“

Faszination Minecraft

Mit über 238 Millionen weltweit verkauften Exemplaren und bis zu 139 Millionen Spieler*innen pro Monat ist Minecraft eines der erfolgreichsten Videospiele der Geschichte (Minecraft Franchise Fact Sheet April 2021). Laut der Bundeszentrale für Politische Bildung finden Lernangebote in Verbindung mit digitalen Spielen wie Minecraft besonderen Anklang bei den Schüler*innen. In dem beliebten Sandbox-Spiel können Schüler*innen – allein oder im Team – mit einzelnen Bausteinen ganze Welten erschaffen.

Mathematikwelten, das klingt spannend. Wie sieht es mit anderen Fächern aus?

Michael Fleischhacker: „Neben verschiedenen fächerübergreifenden Projekten, wie der Lockdown-Challenge im vergangenen Jahr oder der Minecraft Umwelt Challenge 2020, habe ich viel getestet, von Chemie über Geografie und Mathematik.

Das Chemistry Update hat tolle neue Möglichkeiten eröffnet. Man kann alles bauen, Neutronen, Elektronen, Protonen … Ein Kollege und ich wollte wissen, ob Schüler*innen das Periodensystem besser verstehen, wenn sie Element für Element in Minecraft nachbauen. Das war unglaublich spannend. Verstehen Sie mich nicht falsch, Kinder werden durch Minecraft nicht klüger, aber ihre Motivation, sich mit einem bestimmten Thema auseinanderzusetzen, steigt. Und auch ihr Durchhaltevermögen. Und das macht spielebasiertes Lernen für mich aus: Auch sogenannte Problem-Schüler*innen denken mit und beteiligen sich. Minecraft ist für mich ein ganz wertvoller Zugang zu Schüler*innen.“

Inzwischen haben Sie bestimmt auch schon Schüler*innen in die Arbeitswelt entlassen. Gibt es eine besondere Erfolgsgeschichte?

Michael Fleischhacker: „Die gibt es. Mit ein paar Minecraft-verrückten Schüler*innen habe ich in meiner Freizeit eine Gaming-Engineering-Gruppe gegründet. Gemeinsam haben wir Minecraft-Welten entwickelt und gebaut, um beispielsweise Bruchrechnen zu lernen.

Screenshot einer Minecraft Session
Copyright: Michael Fleischhacker
Lehrer Michael Fleischhacker hat mit seinen Schülern in Minecraft das Bruchrechnen und das Koordinatensystem erarbeitet.

Ein Schüler hatte sonderpädagogischen Förderbedarf, sollte die Schule verlassen, da er sich nur sehr schwer fokussieren konnte. Dann kam er in meine Gruppe und war so auf Zack, dass ich ihn zum Projektleiter gemacht habe. Als das Ende der Schulzeit nahte, suchte er nach einer Lehrstelle, ohne gute Noten sehr schwierig und ohne Erfolg. Er wollte unbedingt in die IT-Branche und unser Direktor hatte dann die Idee, er könne ein Portfolio aus seinen Minecraft-Projekten erstellen. Gesagt, getan. Er hat sich bei einer sehr großen Wiener IT-Firma beworben, die ihm umgehend absagte, weil bereits alle Plätze vergeben waren. Doch eine Woche später rief der Vorstand an: Seine Projekte hätten ihn beeindruckt und es werde eine zusätzliche Lehrstelle geschaffen. Inzwischen sind einige Jahre vergangen, er hat die Ausbildung erfolgreich abgeschlossen und arbeitet weiter in dem Bereich.

Hätte dieser Schüler sein Können nicht unter Beweis stellen können, wäre sein Start ins Berufsleben sehr schwer bis unmöglich gewesen. Eine wichtige Aufgabe von Schule ist, auf das Leben vorzubereiten und den Weg in den Beruf zu ebnen. Für mich geht das nur, indem ich meine Schüler*innen auf viele unterschiedliche Arten abhole und mitnehme.“

Wie reagieren Eltern auf Ihren „auf den Kopf gestellten“ Unterricht?

Michael Fleischhacker: „Ich hatte gerade erst eine Beschwerde in der Direktion diesbezüglich. Eine Mutter hat sich beschwert, weil ihr Kind nicht von mir unterrichtet wird. Sie hätte gerne Zugang zu meinen Lehrvideos, um auch selbst zu verstehen, was ihr Kind gerade lernt. Doch natürlich war es anfangs eine Umstellung. Zu Beginn habe ich den Fehler gemacht, den Einsatz von Minecraft nicht gegenüber den Erziehungsberechtigten zu kommunizieren. Jetzt stellen Sie sich vor, ihr Kind kommt nach Hause, wirft den Ranzen in die Ecke, startet Minecraft und erzählt dir, das wären seine Hausaufgaben. Also: Kommunikation ist wichtig! Am Anfang jedes Schuljahres informiere ich beim Elternabend über meine Projekte. Da sich vieles zum Positiven ändert und die Fortschritte sichtbar sind, nehmen es die Erziehungsberechtigten sehr gut auf.“

Direkt loslegen mit der Minecraft: Education Edition!

Sie möchten mehr über die Methoden des Game-based Learning erfahren und mit Ihren Schüler*innen in die Welt von Minecraft eintauchen? Mit der Minecraft: Education Edition, die speziell für den Einsatz im Unterricht entwickelt wurde, ist das möglich. Zahlreiche Lektionen und immersive Welten warten auf Sie und Ihre Schüler*innen. In Zusammenarbeit mit dem Nobel-Friedenszentrum haben wir von Microsoft beispielsweise vor Kurzem eine neue Minecraft-Welt und einen kostenlosen Lehrplan erstellt. Praxisorientierte Schritt-für-Schritt-Anleitungen finden sich außerdem bei den Lernpfaden von Microsoft Learn.